Präpositionsselektion bei als PPs realisierten Patiens-Argumenten (PAT) kognitiver und mentaler Verben

1. Beispiele und Belege

1.1 Beispiele und Belege nach Quellen

DiÖ alternative, "standarddeutsche" Variante slawische Variante Quelle
(1) auf jemanden/etwas denken
an jemanden/etwas denken

tschech. myslet na někoho/něco

Zeman 2003: 275–278;

Newerkla 2007: 40;
Newerkla 2009: 10;
Newerkla 2013: 255

(2) von etwas denken an etwas denken

poln. o czém [nicht geprüft!]

Schuchardt 1884: 117

(3) sich auf jemanden/etwas erinnern sich an jemanden/etwas erinnern

tschech. vzpomenout si na někoho/něco (Quellen 2–5), zapomínati (se) na něco, pamatovati na něco (Quelle 1)

Schuchardt 1884: 115 (1);
Zeman 2003: 278 (2);

Newerkla 2007: 40 (3);
Newerkla 2009: 10 (4);
Newerkla 2013: 255 (5)

(4) wenn du ihn nicht darauf erinnern wirst, so wird er darauf vergessen wenn du ihn nicht daran erinnern wirst […]

 

Schuchardt 1884: 118
(5) ich habe nicht dafür gewusst ich habe nicht davon gewusst, ich habe es [AKK] nicht gewusst

slowen. za to nisem vedel [nicht geprüft!]

Schuchardt 1884: 119

(6) ich weiss für einen guten Platz ich weiß von einem guten Platz, ich kenne einen guten Platz [AKK]

slowen. vem za dober prostor [nicht geprüft!]

Schuchardt 1884: 119

(7) i glaub auf oan Gott ich glaube an einen Gott

slowen. v eniga boga [nicht geprüft!]

Schuchardt 1884: 115

(8) der an den Gott der Verzeihung vertraut der auf den Gott der Verzeihung vertraut (laut Quelle)

tschech. v bohu

Schuchardt 1884: 116

 

1.2 Anmerkungen aus den Quellen

Die genannten Beispiele haben gemein, dass in ihnen jeweils die Präposition im als Präpositionalargument realisierten Patiensargument variiert. Dieses Patiensargument bezeichnet jeweils einen mentalen oder kognitiven Inhalt, also verbabhängig das Gedachte, Erinnerte, Gewusste oder auch jenen Inhalt, dessen Existenz oder Wahrheit geglaubt bzw. vertraut wird. In der Folge werden die Beispiele nach Verben getrennt beschrieben.

 

1.2.1 denken [an/auf + AKK / von + DAT]

Die Selektion der Präposition auf im Patiensargument des Verbs denken ist eine der Parallelen zwischen dem Tschechischen und österreichischen Varietäten des Deutschen, denen Zeman (2003: 275–278) am meisten Platz widmet. Exemplarisch untersucht er anhand dieses Phänomens nämlich großlandschaftliche Dialektwörterbücher des Deutschen, um die folgende ihm von Maria Hornung mündlich mitgeteilte Einschätzung zur diatopischen Verteilung von bestimmten Mustern der Präpositionsselektion und Valenz zu belegen:

Es ist offensichtlich, dass die unten angeführten Konstruktionen möglicherweise auf den Einfluss der Monarchie zurückgehen. Sie gelten zwar nicht allgemein, sie werden jedoch in den östlichen Bundesländern bevorzugt, stellenweise kommen sie auch im westlichen Teil Österreichs vor (Hornung, M. 2001- Konsult). (Zeman 2003: 275)

Er kommt zu dem Schluss, dass die Konstruktion denken [auf + AKK] nur im Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich, nicht aber im Schlesischen, Pfälzischen, Schwäbischen, Rheinischen oder Thüringischen Wörterbuch verzeichnet ist und "dass der Gebrauch […] auf den östlichen Teil Österreichs beschränkt ist" (Zeman 2003: 276, Hervorhebung A.K.).

Außerdem enthält Zemans (2003) Fragebogenerhebung auch den folgenden Satz, mit Hilfe dessen die Präpositionsselektion im Osten Österreich geprüft wurde:

Denk _________ das Blumengießen! (Zeman 2003: 357)

Von seinen Wiener Befragten der älteren Generation (61–87 Jahre) gaben 15 % die Präposition auf an. Vergleichbar viele waren es mit 12 % nur in Niederösterreich, denn aus der mittleren Generation (31–60 Jahre) in Wien realisierten nur noch in 7 % der Befragten diese auf-Variante; in der jüngeren (18–30 Jahre) gab es keine entsprechende Nennung mehr (vgl. Zeman 2003: 309).

Newerkla (2007: 40) beschreibt die Selektion von auf im Präpositionalargument des Verbs denken ähnlich wie die Präpositionalkonstruktion vergessen [auf + AKK] im Kontext von Sprachkontakt zwischen dem Deutschen, Tschechischen und Slowakischen in und um Ostösterreich. Als solches sieht er es in Newerkla (2013: 255) auch – aber nicht nur – als typisch für die "Wiener Umgangssprache".

Die Konstruktion denken [auf + AKK] taucht bei Schuchardt (1884: 115) interessanterweise nicht als Slawismus auf, sondern wird als "im falschen Sinn gebraucht" im Kontext von erinnern [auf + AKK] beschrieben. Daraus lässt sich schließen, dass er es nicht als Kontaktphänomen interpretiert, womit er sich eventuell Halatschka (1883: 32) anschließt, er denken [auf + AKK] explizit als "Austriacismus" ausweist.

Allerdings bringt er mit Beispiel (2) eines für die Konstruktion denken [von + DAT] (ohne Patiensargument im AKK), die er als "polno-deutsch" beschreibt (vgl. Schuchardt 1884: 117) – womit es an die Konstruktion vergessen [von + DAT], die ebenfalls dem polnisch-deutschen Kontaktgebiet zugeschrieben wird, erinnert. Obwohl er keine weiteren Bemerkungen macht, kann auf Grund Schuchardts strukturierter Aufarbeitung davon ausgegangen werden, dass er in diesem Kontext die Präposition von als Ersatz für an betrachtet (vgl. Kim 2020: 115–116), wobei er dabei seiner Quelle Bernd (1820: 417) folgt. 

 

1.2.2 sich erinnern [an/auf + AKK]

Vor dem Hintergrund der strukturellen und semantischen Nähe der Verben sich erinnern und denken verwundert es nicht, dass die Präpositionsselektion im PATIENS-Argument des Verbs sich erinnern in den Quellen immer gemeinsam oder im Zusammenhang mit jener des Verbs denken beschrieben wird. So schreibt Schuchardt (1884: 115) wie oben bereits angedeutet:

Das bei den Deutschen Östreichs [sic!] sehr gewöhnliche sich auf Etwas erinnern braucht nicht durchaus ein tschech. zapomínati (se) na něco, pamatovati se na něco zum Vorbild haben; es schließt sich wohl zunächst an ein in falschem Sinn gebrauchtes auf Etwas denken an.

Daraus wird ersichtlich, dass Schuchardt zwar die strukturelle Ähnlichkeit des Deutschen in Österreich und des Tschechischen wahrnimmt, jedoch ob der Reihenbildung mit denken [auf + AKK] die Kontakterklärung anzweifelt bzw. zumindest hinterfragt. Zusätzlich klassifiziert er das Phänomen als im Deutschen in Österreich "gewöhnlich", was sich auch in der Behandlung als Muster für das Präpositionalargument des Verbs vergessen zeigt (vgl. auch Beispiel 4). Unter den von Schuchardt verwendeten Quellen enthält Halatschka (1883: 32) einen Beleg für die Verwendung der Konstruktion erinnern [auf + AKK], die der Autor nicht näher kommentiert.

Auch bei Newerkla (2007: 40) steht – ähnlich wie in Bezug auf denken [auf + AKK] und vergessen [auf + AKK]  – die strukturelle Ähnlichkeit der deutschen und slowakischen Kontruktion im Vordergrund, die er auf durch langfristige gesellschaftliche Mehrsprachigkeit zurückführbare Konvergenz in Ostösterreich erklärt. Wie die anderen genannten Phänomene ist auch dieses Newerkla (2013: 255) zufolge u. a. typisch für die "Wiener Umgangssprache".

Dies zeigt sich in der Untersuchung von Zeman (2003: 309) nicht: Ähnlich wie auch die beiden genannten Konstruktion denken [auf + AKK] und vergessen [auf + AKK] untersucht er auch die Präpositionsselektion des Verbs sich erinnern in seiner Fragebenerhebung. Dazu setzt er den folgenden Satz ein, in dem jedoch im Gegensatz zu den anderen Sätzen, mit Hilfe die Rektion von Verben getestet werden sollte, kein nominal, sondern satzwertig realisiertes Argument, das im Matrixsatz durch ein (im Fall von sich erinnern fakultatives) Präpositionaladverb vertreten wird.

Er erinnerte sich einen Augenblick _________, dass sein eigener Sohn bei den Jägern diente. (Zeman 2003: 357)

Tatsächlich dürfte keine der Gewährspersonen aus Wien das Präpositionaladverb darauf gewählt haben. Zumindest 12 % der Befragten waren es jedoch in Niederösterreich. Es ist bei der Interpretation jedoch zu beachten, dass die Komplexität des Beispiels die Ergebnisse beeinflusst haben könnte. Schließlich handet es sich bei diesem Beispielsatz um einen leicht adaptierten aus Josef Roths Radezkymarsch.

„Infanterie natürlich?“, fragte gewohnheitsmäßig Herr von Trotta und erinnerte sich einen Augenblick darauf, dass sein eigener Sohn jetzt bei den Jägern diente. (cit nach Zeman 2003: 278)

Im Kontext der semantischen und strukturellen Ähnlichkeiten der Verben sich erinnern, denken und vergessen ist abschließend noch auf eine Konstruktion hinzuweisen, die Schuchardt (1886: 347) aus Sallmann (1880: 154) anführt. Oben ist sie jedoch nicht verzeichnet, da sie nicht aus dem in weiterem Sinne österreichisch-slawischen, sondern aus dem baltischen (ost-preußischen) Kontaktraum stammt. Sallmann (1880) beschäftigt sich mit der "deutschen Mundart in Estland", in Bezug auf deren Syntax ihm ebenfalls auffällt, "wie häufig Verba mit Präpositionen construiert werden, die sonst einen einfachen Casus, dat. od. acc., bei sich haben" (Sallmann 1880: 153–154). Darunter fällt auch das folgende Beispiel, das Schuchardt (1886: 347) als vom Russischen beeinflusst interpretiert:

sich von etw. erinnern (Sallmann 1880: 154; Schuchardt 1886: 347; Fettsatz A.K.)

 

1.2.3 wissen [AKK / von + DAT / für + AKK]

Die Konstruktion wissen [für + AKK] (vgl. Beispiele 5 und 6) weist Schuchardt (1884: 119) als aus dem deutsch-slowenischen Kontaktbereich kommend aus ("Der Slowene sagt: […]") und führt als "deutsche" Entsprechungen das reine Akkusativargument sowie ein Präpositionalargument mit von + DAT an. Von den beiden genannten Beispielen kann zum aktuellen Zeitpunkt keines auf eine der von Schuchardt (1884) verwendeten Quellen (vgl. Kim 2020: 119–121) zurückgeführt werden. Allerdings erwählt Heinrich (1875: 123) die Konstruktion – mit einem insbesondere Beispiel 6 ähnlichen Satz – als "fehlerhaft" in Krain als Anmerkung zu einer Übung, in der er zunächst die Bedeutung der Konstruktion wissen [von + AKK] definiert und ein Beispiel gibt:

"ich weiß davon (= von einer Sache), habe davon gehört, mir wurde darüber mitgeteilt" […] Vor tausend Jáhren wußte die Welt weder von Schíeßpulver noch von der Búchdruckerkunst. (Heinrich 1875: 123; Anmerkung: Mit Akut wird im Original der Wortakzent bezeichnet.)

In der Fußnote zu dieser Anmerkung heißt es dann in Bezug auf die Konstruktion wissen [für + AKK]:

In Krain setzt man fehlerhaft für statt von. Ich weiß für zwei schattige Bäume = ich weiß etwas, den Standort, von zwei sch. B. (Heinrich 1875: 123; dem gesperrten Satz im Original entspricht hier Kursivsatz)

 

1.2.4 glauben [an/auf + AKK]

Für die Konstruktion glauben [auf + AKK] findet sich innerhalb der durchsuchten Quellen nur bei Schuchardt (1884: 155) ein Beleg, dort – abgesehen von der Lokalisierung als "zarzerisch", also der Sprachinsel Zarz (slowen. Sorica) – jedoch ebenfalls ohne weitere Angaben. Allerdings konnte Beispiel 7 auf Czoernig (1876: 173) zurückgeführt werden, der im Rahmen einer ethnographischen Erkundung der deutschen Sprachinsel auch die zehn Gebote, darunter auch das erste, erhob:

Dos erschte: I glaub auf oan Gott, ischt oan Gott. (Czoernig 1876: 173)

 

1.2.5 vertrauen [an/auf + AKK]

Auch der einzige Beleg (Beispiel 8) für die vom Standarddeutschen abweichende Konstruktion vertrauen [an + AKK] stammt Schuchardt (1884: 116), wobei er es als "tschecho-d[eutsch]" bezeichnet und als Quelle die sogenannte "Politik" nennt. Innerhalb der wenigen in der Národní digitální knihovna (digitalen Nationalbliothek) der Tschechischen Republik Jahrgänge zwischen dem Gründungsjahr 1862 und dem Erscheinen von Schuchardt (1884) konnte der Beleg jedoch – mittels Volltextsuche – nicht gefunden werden.

 

2. Hinweise/Ergebnisse für Untersuchungen

Dieser Abschnitt wird aktuell bearbeitet!

2.1 Plausibilität

 

2.2 Diachrone Aspekte

 

2.3 Areale Aspekte

 

2.4 Diastratische Aspekte

 

2.5 Bekannte Studien

 

2.6 Nächste Schritte

Zitiervorschlag:
Kim, Agnes (2021): Präpositionsselektion bei als PPs realisierten Patiens-Argumenten (PAT) kognitiver und mentaler Verben. In: Kim, Agnes/Newerkla, Stefan Michael (Hgg.): MiÖ-SAKON – Sprachliche Areal- und Kontaktphänomene im Deutschen in Österreich. Online verfügbar unter: #Link zur Seite#.
Text und Bearbeitung: Agnes Kim