Kontraktion von Präposition und definitem Artikel

1. Beispiele und Belege

1.1 Beispiele und Belege nach Quellen

DiÖ alternative, "standarddeutsche" Variante slawische Variante Quelle
am Eis, am Feld auf dem Eis, auf dem Feld

siehe 1.2

Schuchardt 1884: 116

1.2 Anmerkungen aus den Quellen

Schuchardt (1884: 116) bringt die erwähnte Kontraktion von Präposition und definitem Artikel (auf dem > am) im Kontext der Vertretung der Präposition auf durch an im „Slawo-deutschen“, also im durch Personen mit slawischer Erstsprache gesprochenen/erlernten Deutsch. Allerdings weist er explizit darauf hin, dass dieses Phänomen „echt östreichisch-deutsch [!] ist, nämlich auf lautlicher Vertretung beruht“, was jedoch „von Manchen" übersehen werde. Daraus ist zu schließen, dass zeitgenössisch eine Kontakterklärung diskutiert wurde, nicht jedoch, durch wen sie vertreten wurde. Zwei Jahre später stellt sie  auch Nagl (1887: 385) in den Raum, wenn er über die „Verwechslung“ der Präpositionen an und auf in Österreich schreibt, es sei zu beachten

[.,.] dass auf und an im Čechischen gleichermassen na heisst, dass der Čeche von jeher für beide Beziehungen (an und auf) eigentlich nur dieses na hat. In den anderen deutschen Dialekten kommt meines Wissens diese Verwechslung nicht vor, wir Österreicher können sie immerhin einer Anlehnung ans Čechische verdanken.
[Hervorhebungen A.K.]

Gleichzeitig verweist auch Nagl (1887) indirekt auf die Reduktion unbetonter Silben in den (ost)österreichischen (mittelbairischen) Dialekten, aus denen er den Zusammenfall der Syntagmen auf dem und an dem > am erklärt (vgl. dazu Nagl 1886: 99).

 

2. Hinweise/Ergebnisse für Untersuchungen

2.1 Plausibilität

nicht plausibel

Die in den Quellen bezogenen Positionen deuten an, dass die Kontakterklärung für die Kontraktion der Präposition auf mit dem definiten Artikel zu am im Sinne einer Replikation des tschechischen Musters im 19. Jahrhundert zwar diskutiert wurde, jedoch nicht überzeugen konnte. Sie ist auf Grund der Plausbilität der alternativen, intern-phonologischen Erklärung zurückzuweisen. Ob eine „Anlehnung“ im Sinne Nagls (1887) bzw. ein dahingehendes Konvergenzphänomen vorliegt, dass die im Standarddeutschen durch auf und an ausgedrückten Lagebeziehungen des inneren zum äußeren Objekt der Präpositionalphrase in (ost)österreichischen Dialekten nicht (so deutlich) unterschieden werden und sie darin tschechischen Varietäten ähneln, müsste überprüft werden.

2.2 Diachrone Aspekte

nicht erforscht

Es liegen keine Studien vor, die sich explizit auf das Deutsche in Österreich beziehen und diese Form der Kontraktion behandeln. Zur Entwicklung der Kontraktion von Präpositionen und bestimmten Artikeln im Allgemeinen vgl. Nübling (2005) und Christiansen (2016).

2.3 Areale Aspekte

Erste Indizien: Häufiger im ostmittelbairischen als in südbairischen Dialekten.

Eine erste Analyse des von PP03 und PP08 des SFB „Deutsch in Österreich“ erarbeiteten Korpus erbringt erbringt Indizien, dass die Kontraktionen der Präposition auf mit bestimmten Artikeln in südbairischen Dialekten (beispielhafter Erhebungsort: Weißbriach) seltener sind als in ostmittelbairischen (Erhebungsort: Neumarkt/Ybbs) Dialekten oder solchen aus dem Übergangsgebiet (Erhebungsort: Neckenmarkt, vgl. Kim/Korecky-Kröll [Manuskript]). Dabei unterscheiden sie drei Kontexte nach Genus und Kasus des Artikels, die alle zu am kontrahiert werden können nämlich:

  1. auf + maskulin Dativ (z. B. auf dem Tisch)
  2. auf + neutral Dativ (z. B. auf dem Haus)
  3. auf + maskulin Dativ (z. B. auf den Tisch)

Abbildung 1 zeigt, dass bestimmte Artikel im Dativ (1 und 2) im südbairischen Erhebungsort seltener kontrahiert werden, als in den beiden anderen. Bestimmte Artikel im Akkusativ (3) hingegen werden in allen Erhebungsorten vergleichsweise oft kontrahiert. Die Ergebnisse dieser ersten Untersuchung sind auf Grund der niedrigen Belegzahlen jedoch nicht belastbar, weshalb größere Teile des SFB-Korpus analysiert werden müssen.

Abb_Kontraktion.pngAbbildung 1: Anteil an Kontraktionen der Präposition auf mit bestimmten Artikeln in drei Beispielorten aus dem SFB-Korpus (nach Kim/Korecky-Kröll [Manuskript])

Zu beachten ist zusätzlich, dass Schiering (2005) für das Ruhrdeutsche ebenfalls am als Kontraktionsform für auf + definiter Artikel angibt.

2.4 Diastratische Aspekte

Teil non-standardsprachlicher und standardsprachlicher Varietäten des Deutschen in Österreich

Die Ergebnisse von Kim/Korecky-Kröll [Manuskript] deuten auf eine weite Verbreitung des gegenständlichen Phänomens in gesprochenen non-standardsprachlichen (dialektalen) und (fast-)standardsprachlichen Varietäten des Deutschen in Österreich hin. Für den geschriebenen Standard belegen auch die entsprechenden Untersuchungen aus der Variantengrammatik (Dürscheid/Elspaß/Ziegler 2018) eine weite Verbreitung sowie – mit einigen Ausnahmen – die Österreichspezifik der Kontraktionsform am in Kontexten mit maskulinen oder neutralen bestimmten Artikeln im Dativ (1 und 2):

Die Kontraktionsform am in Kontexten mit Dativ wird auch aus normativer Perspektive als Teil der österreichischen Standardvarietät des Deutschen erachtet (vgl. Ebner 2008: 46). In Kontexten mit Akkusativ (3) wird sie hingegen zurückgewiesen. Zumindest in gesprochenen standardnahen Varietäten dürfte sie jedoch weit verbreitet sein (vgl. Kim/Korecky-Kröll [Manuskript]). Intra- und interindividuelle Aspekte der Variation auf der Dialekt-Standardachse müssen jedoch noch untersucht werden.

2.5 Nächste Schritte

  • genauere Untersuchung der horizontalen Variation im Deutschen in Österreich, eventuell anhand der Daten aus dem SFB-Korpus (vgl. areale Aspekte)
  • genauere Untersuchung der vertikalen Variation im Deutschen in Österreich, eventuell anhand der Daten aus dem SFB-Korpus (vgl. diastratische Aspekte)
  • genauere Untersuchung der Distribution der Kontraktionsform nach einzelnen Kontexten (1 bis 3) in geschriebenen standandsprachlichen Texten (vgl. diastratische Aspekte)
  • diachrone Untersuchung der Entwicklung und Grammatikalisierung der Kontraktionsform am zur Präposition auf (vgl. diachrone Aspekte)
  • kognitiv-linguistische Untersuchung der konzeptuellen Abgrenzung der durch die Präpositionen auf und an ausgedrückten Lagebeziehungen im Deutschen in Österreich, eventuell im Kontrast zum Deutschen in Deutschland und/oder dem Tschechischen (vgl. Plausibiltät)

 

Referenzen

Christiansen, Mads (2016) Von der Phonologie in die Morphologie. Diachrone Studien zur Präposition-Artikel-Enklise im Deutschen (Germanistische Linguistik. Monographien 32) Hildesheim et al.: Olms.

Dürscheid, Christa, Stephan Elspaß und Arne Ziegler (Hgg.) (2018): Variantengrammatik des Standarddeutschen. Ein Online-Nachschlagewerk. Open-Access-Publikation. Online Abrufbar unter: http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/Start (letzter Zugriff: 21.09.2020).

Ebner, Jakob (2008): Duden – Österreichisches Deutsch: Eine Einführung. Mannheim/Vienna: Dudenverlag.

Kim, Agnes und Katharina Korecky-Kröll [Manuskript]: Prepositional phrases in German in Austria – identifying patterns of variation. Wien.

Nagl, Hans Willibald (1886): Grammatische Analyse des niederösterreichischen Dialektes im Anschlusse an den als Probestück der Uebersetzung abgedruckten VI. Gesang des Roanad. Mit ausführlichem Nachschlagebuch. Wien: Carl Gerold's Sohn. Online abrufbar unter: https://fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/objects/o:904260/methods/bdef:Book/view (letzter Zugriff: 18.09.2020).

Nübling, Damaris (2005) Von in die über in’n und ins bis im: Die Klitisierung von Präposition und Artikel als “Grammatikbaustelle”. In: Torsten Leuschner, Tanja Mortelmans und Sarah de Groodt (Hgg.): Grammatikalisierung im Deutschen. Berlin: De Gruyter, 105-131.

Schiering, René. 2005. Flektierte Präpositionen im Deutschen? Neue Evidenz aus dem Ruhrgebiet. Zeitschrift für Dialektologie und Lingustik 72 (1). 52–79.

 

Text und Bearbeitung: Agnes Kim