Von Beispielen zu Phänomenen

Wie bereits herausgearbeitet, bestand die erste Herausforderung in der zum Teil durch die große Zeitspanne zwischen den Publikationen bedingten heterogenen Klassifikation diverser angeblicher Kontaktphänomene. Dieser Abschnitt beschreibt den von einer Beispielsammlung ausgehenden Arbeitsprozess hin zur Erarbeitung einer konsistenten und für die systematische Weiterbearbeitung der Phänomene adäquaten Klassifikation.

Schritt 1: Anlegen einer Beispielsammlung

Als erster Schritt wurde eine Liste der in zentraler Literatur aus den Bereichen der Areallinguistik, des slawisch-deutschen Sprachkontakts (in Österreich) sowie zum Deutschen in Österreich genannten Sprachbeispiele für Areal- oder Kontaktphänomene angelegt. Bearbeitet wurden in diesem Schritt nicht sämtliche verfügbare Werke, sondern nur eine Auswahl. Weitere relevante Literatur wird im Rahmen der jeweiligen Artikel eingearbeitet. Es handelt sich bei den Werken, auf denen die Listen basieren, um:

aus dem Bereich der Areallinguistik

  • Haarmann (1976)
  • Kurzová (1996)
  • Thomas (2008)

zu slawisch-deutschem Sprachkontakt (in Österreich):

mit Fokus auf das Deutsche in Österreich und seine Charakteristika

  • Muhr (1995)

 

Schritt 2: Klassifikation der Beispiele

Dieser Abschnitt wird aktuell bearbeitet!

Nach "Zeitlevels" des Sprachkontakts

In einem ersten Schritt werden die Beispiele nach den bei Muysken (2010: 268) – wie in der folgenden (vereinfachten) Tabelle  – aufgelisteten vier, in der Kontaktlinguistik zu unterscheidenden Aggregations- und Zeitlevels (orig.: levels of aggregation and time depth) eingeteilt.

  Raum Zeit Kontaktszenarien
PERSON LEVEL mehrsprachiges Individuum 0–50 Jahre Kognition und Mehrsprachigkeit
MICRO LEVEL mehrsprachige Gesellschaft 20–200 Jahre spezifische Kontaktszenarien
MESO LEVEL geografische Region generell 200–1000 Jahre globale Kontaktszenarien
MACRO LEVEL größere Weltregion weiter zurückliegend vage oder gar keine Kontaktszenarien

Die Tags "PERSON" und "MESO" wurden aus verschiedenen Gründen nicht vergeben:

  1. Die Beispielliste enthält ausschließlich Belege, die als in einer bestimmten Sprechergruppe etabliert oder für eine bestimmte Sprechergruppe typisch und in dieser als mehr oder weniger stabil beschrieben werden. Insbesondere bei Werken wie Schuchardt (1884) ist die Grenze zu Interferenzen auf der Ebene des mehrsprachigen Individuums nicht immer klar zu ziehen, doch sind solche Abwägungen einzeln zu treffen. Daher wurde der Tag "PERSON" nicht vergeben.
  2. Das Kontaktszenario in Zentraleuropa mit slawischen, germanischen und finno-ugrischen (bzw. vor diesen anderen, nicht eindeutig zuordenbaren wie dem Hunnischen oder Awarischen) Sprachen entstand erst zwischen 600 und 800 n. Christus. Auch auf Grund von dünner schriftlicher Überlieferung wurde in der Erforschung sprachlicher Konvergenzprozesse in diesen letzten 1400–1200 Jahren meist auf primär kontrastive arealtypologische Methoden zurückgegriffen, also die Disziplin, die Muysken (2010: 268) für die Erforschung der MAKRO-Ebene vorsieht. Erst durch das systematische Erschließen älterer Quellen und der kontrastiven, datenbasierten Erforschung der Sprachgeschichte der relevanten Sprachen könnte eine MESO-Ebene klar von der MIKRO- oder auch MAKRO-Ebene unterschieden werden. Daher wurde der Tag "MESO" vorerst nicht vergeben.

 

Nach (haupt-)beteiligter Wortart

 

Nach linguistischer Ebene – oberflächliche Klassifikation

 

Nach linguistischer Ebene – tiefergehende Klassifikation

 

Schritt 3: Gruppierung der Beispiele über Einzelphänomenen zu Phänomengruppen

Basierend auf diesen Klassifikationen wurden zunächst Einzelphänomene identifiziert, wobei diese als Abstraktionen von konkreten, (quasi-)identen Beispielen verstanden werden. Jedem dieser Einzelphänomene ist im Abschnitt zu den Kontaktphänomenen je ein Kapitel gewidmet.

Um die theoretischen Hintergründe konziser beschreiben zu können, wurden die Einzelphänomene darüber hinausgehend zu Phänomengruppen zusammengefasst, innerhalb derer prinzipiell davon ausgegangen werden kann, dass die ihnen zugeordneten Einzelphänomene bestimmte strukturelle und semantische Eigenschaften teilen und somit über ähnliche Prozesse erklärt werden können. Die entsprechenden Hintergründe werden primär im Rahmen der Überblicksartikel nach linguistischen Ebenen und Phänomenbereichen ausgeführt. Ein erster Überblick zu den Phänomengruppen im Bereich der "Grammatik" (Morphonologie, Morphologie, Morphosyntax und Syntax) findet sich hier.

 

Referenzen

Muysken, Pieter (2010): Scenarios for Language Contact. In: The Handbook of Language Contact. Hrsg. von Raymond Hickey. Chichester: Wiley-Blackwell (Blackwell Handbooks in Linguistics). S. 265–281.

 

Zitiervorschlag:
Kim, Agnes (2021): Von Beispielen zu Phänomenen. In: Kim, Agnes/Newerkla, Stefan Michael (Hgg.): MiÖ-SAKON – Sprachliche Areal- und Kontaktphänomene im Deutschen in Österreich. Online verfügbar unter: #Link zur Seite#.
Text und Bearbeitung: Agnes Kim